Zwei Personen stehen auf einem Schiff und holen eine Art Trichter aus dem Wasser. Im Hintergrund ist eis- und schneebedecktes Land zu sehen.
Probennahmen im Kongsfjord, Spitzbergen. Foto: Paolo Verzone

Neues Polarforschungs­projekt

Kooperationsprojekt YESSS forscht ganzjährig auf dem arktischen Archipel Spitzbergen – Team um Laura Epp von der Universität Konstanz wird die Biodiversitätserfassung leiten.

Wie die Erwärmung der Arktis die Jahreszeiten in Spitzbergen verändert, steht im Fokus des neuen Forschungsprojektes YESSS – Year-round EcoSystem Study on Svalbard. Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung ausgewählter Schlüsselarten beobachtet das aus rund 30 Personen bestehende Team ganzjährig rund um die französisch-deutsche Arktis-Forschungsstation AWIPEV auf Spitzbergen und führt dazu Experimente durch. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert das am Alfred-Wegener-Institut koordinierte Projekt bis Ende 2026 mit 2,7 Millionen Euro. Nach einer Vorlauf-Phase seit September 2023 und dem Kick-off-Meeting in Bremerhaven sollen die eigentlichen Forschungsarbeiten im Kongsfjord auf Spitzbergen im Sommer 2024 beginnen.

Nirgendwo erwärmt sich die Erde so schnell wie in der Arktis. Die dort schmelzenden Gletscher und das schwindende Meereis sind zum ikonischen Bild des Klimawandels geworden. Aber auch die gesamte Entwicklung von Pflanzen und Tieren im saisonalen Jahresverlauf ändert sich, möglicherweise mit gravierenden ökologischen Konsequenzen.

Im Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), trafen sich vom 6. bis 8. Februar 2024 Forschende von sieben Universitäten und Forschungseinrichtungen zum Kick-off-Meeting für das 40-monatige Polarforschungsprojekt YESSS. Unter Führung des AWI wollen sie die saisonalen Aspekte der Erwärmung in der Arktis erforschen, z.B. Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung. Bislang ist darüber wenig bekannt, weil das Verständnis dieser ökologischen Prozesse überwiegend auf Studien beruht, die im Frühling und Sommer durchgeführt wurden. Das soll sich jetzt ändern: YESSS steht für „Year-round EcoSystem Study on Svalbard“, es geht also um ganzjährige Forschungsarbeiten auf dem arktischen Archipel Spitzbergen.

Konstanzer Team sequenziert Umwelt-DNA
Das Team um Laura Epp, Juniorprofessorin für Umweltgenomik in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz, wird im Projekt YESSS die Biodiversitätserfassung leiten und spezifische Experimente zu Überwinterungsstrategien bei Algen durchführen. Um das Ökosystem und die Artengemeinschaft im Verlauf des Jahres zu verfolgen, werden wöchentlich DNA-Proben aus dem Wasser genommen. Durch Sequenzierung dieser sogenannten Umwelt-DNA können die Forschenden einen sehr detailreichen Überblick über die Arten gewinnen, die zu dem Zeitpunkt im Fjord leben – von Algen über Seeigel und Muscheln bis hin zu Wirbeltieren wie Fischen.

Der jahreszeitliche Verlauf der DNA-Zusammensetzung wird Erkenntnisse zum zeitlichen Vorkommen und zu relativen Änderungen der Biomasse oder Aktivität der Arten im arktischen Ökosystem machen. „Dies ist besonders spannend für die wenig erforschten Wintermonate, in denen die Aktivität der meisten Arten und deren Sensitivität im Ökosystem immer noch sehr unklar ist“, sagt Laura Epp.

In spezifischen Experimenten vor Ort wird das Team zudem untersuchen, wie sich Temperaturerhöhung auf die Überwinterungsstrategien von wichtigen Algenarten auswirkt und wie sich Populationen einer dominanten Kieselalgenart nach dem Winter wieder etablieren. Diese Experimente werden entscheidende Erkenntnisse zur Frühjahrsblüte von Phytoplankton – der Basis des marinen Nahrungsnetzes – und ihren möglichen zukünftigen Änderungen liefern.

Arktis – Hotspot für Klimawandel
Beim Klimawandel gilt die Arktis als Hotspot, als eine Art Frühwarnsystem für bevorstehende globale Veränderungen. Denn unter den extremen Bedingungen der Nordpolarmeer-Region verstärken sich die Auswirkungen des Klimawandels. So hat sich hier die Temperatur des Meeres doppelt so schnell erhöht wie in anderen Erdregionen. Ein Stressfaktor für viele Lebewesen: Denn höhere Temperaturen beschleunigen die Prozesse im Körper und führen so zu einem höheren Verbrauch von Ressourcen. Welche Folgen hat das für die Phänologie in der Arktis?

„Bislang gibt es kaum Studien über diese Entwicklungen in dem langen und dunklen arktischen Winter und auch nicht in den nur wenige Tage langen Übergangszeiten im Frühling und Herbst. Hier wollen wir jetzt ganzjährig mit wöchentlichen Messungen neue Erkenntnisse schaffen“, sagt YESSS-Projektleiterin Clara Hoppe. Ihr spezielles Forschungsgebiet ist das Phytoplankton, das sind mikroskopisch kleine Einzeller, die durch Photosynthese das Treibhausgas CO2 binden und aus Wasser Sauerstoff produzieren. Phytoplankton ist die Basis des Nahrungsnetzes, daher haben Veränderungen im Phytoplankton Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. „Wir wollen jetzt erforschen, wie diese Organismen in den dunklen Monaten auf den neuen Stressor erhöhte Wassertemperatur reagieren“, so die AWI-Biologin.

Die höheren Wassertemperaturen ziehen schon jetzt Fischarten an, die es früher in der Arktis nicht gab. Ob angestammte Arten dann ausreichend widerstandsfähig sind, ist weitgehend unbekannt. Basierend auf den gewonnenen Daten zur Resilienz gegenüber höheren Temperaturen sowie anderen erfolgreichen Überwinterungsstrategien werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Ökosystemmodell entwickeln.   

Forschungsergebnisse helfen bei der Einschätzung ökologischer Folgen des Klimawandels
Es soll potenzielle „Gewinner“ und „Verlierer“ des Klimawandels sowie Temperatur-Kipppunkte zu verschiedenen Jahreszeiten identifizieren. „Miteinander verknüpft können diese verschiedenen Forschungsergebnisse helfen, ökologische Folgen des Klimawandels einzuschätzen“, sagt Clara Hoppe. So soll das YESSS-Projekt strategische Richtlinien für ein nachhaltiges sozio-ökologisches Management ähnlicher arktischer Küstenökosysteme entwickeln und verschiedenen Interessensgruppen (z.B. indigene und lokale Gemeinschaften oder Anrainerstaaten des Arktisches Ozeans, Politik) zur Verfügung stellen. 

Faktenübersicht: 

  • Forschungsprojekt YESSS – Year-round EcoSystem Study on Svalbard erforscht mit rund 30-köpfigem Team die Erwärmung in der Arktis auch in der dunklen Jahreszeit
  • Juniorprofessorin Dr. Laura Epp von der Universität Konstanz wird die Biodiversitätserfassung leiten
  • YESSS-Partner: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung, Bremerhaven; Universität Bremen, Fachbereich Biologie/Chemie & MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften; Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Molekulare Physiologie; Universität Hamburg – Institut für Marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften, Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit; Universität Konstanz, Limnologisches Institut; Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Zoologisches Institut; GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Ecologic Institut gemeinnützige GmbH, Berlin; constructify.media e.V., Bremen.