Forschungsschwerpunkte

Density influences selection; selection influences genetic make-up; and in turn, genetic make-up influences density.
D. Pimental, 1961, The American Naturalist, 95

Traditionell wird angenommen, dass evolutionäre Prozesse sehr langsam ablaufen. Evolution sollte folglich keinen direkt einen Einfluss auf ökologische Veränderungen haben, wie zum Beispiel die Zu- und Abnahme von Planktonbiomasse in einem See innerhalb eines Jahres. Es gibt aber immer mehr Beispiele, die zeigen, dass evolutionäre Prozesse rasch und damit auf der gleichen Zeitskala wie ökologische Prozesse ablaufen. Damit können sich ökologische und evolutionäre Prozesse gegenseitig und kontinuierlich beeinflussen (so genannte öko-evolutionäre Dynamiken). Da die Diversifizierung und die Aufrechterhaltung der Diversität innerhalb von Populationen und Artengemeinschaften durch ökologische und evolutionäre Mechanismen bestimmt wird, braucht es Untersuchungsansätze, die die gegenseitigen Wechselwirkungen von ökologischen und evolutionären Prozessen berücksichtigen. Wir untersuchen die oft komplexen Wechselwirkungen evolutionärer und ökologischer Prozesse in aquatischen Systemen und ihre Auswirkungen auf die phänotypische und genetische Diversität innerhalb von Populationen und Artengemeinschaften. Auf diese Weise erlangen wirein mechanistisches und grundlegendes Verständnis wichtiger evolutionärer Veränderungen wie die Evolution symbiotischer Interaktionen und sexueller Fortpflanzung, die langfristige Stabiliät von Populationen und Gemeinschaften und den Erhalt der Biodiversität. Die Erforschung dieser Mechanismen ist das Kerninteresse der Ökologie und Evolutionsbiologie und ist unabdingbar für die Erstellung von Vorhersagen und dier Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Folgen des globalen Wandels.

Eco-Evolutionary Dynamics

Um die Reaktionen und Folgen auf Veränderungen von Umweltbedingungen, z.B. Biodiversitätsverlust, Klimawandel oder Antibiotikareste in Gewässern, vorherzusagen zu können, ist ein besseres Verständnis der Wechselwirkung zwischen der Dynamik verschiedener Merkmale und Populationsdynamiken notwendig. Eine Wechselwirkung zwischen diesen Dynamiken kann es Ökosystemen und Artengemeinschaften ermöglichen, externe Störungen abzufedern. Allerdings sind die zugrunde liegenden Mechanismen bisher nicht gut untersucht. So ist zum Beispiel unklar, ob und wie die Variation von Merkmalen innerhalb von Populationen das Potenzial und den Grad der Abfederung bestimmen. Darüber hinaus ist die Rolle der Merkmalsvariation für die Abfederung verschiedener Arten von Störungen, z.B. eine Zunahme der Mortalität, eine Änderung des Gesundheitszustands von Individuen oder eine Änderung der Stärke der Wechselwirkungen zwischen den Arten, unbekannt. Wir kombinieren Experimente mit Planktonorganismen mit mathematischer Modellierung, um ein allgemeines Verständnis des Zusammenhangs zwischen Merkmalsvariation und dem Potenzial von Systemen, Störungen abzufedern, zu erlangen.  

Why sex?

Warum geschlechtliche Fortpflanzung im Vergleich zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung so viel häufiger vorkommt ist eine ungeklärte Frage in der Biologie. Obwohl zahlreiche Mechanismen zur Erklärung der Evolution der geschlechtlichen Fortpflanzung vorgeschlagen wurden, gibt es immer noch keine schlüssigen Erklärungen unter welchen Bedingungen geschlechtliche Fortpflanzung dauerhaft vorteilhaft ist. Die geschlechtliche Fortpflanzung hat mehreren Nachteilen im Vergleich zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung, was die vorhergesagten Bedingungen, unter denen die Vorteile der geschlechtlichen Fortpflanzung die Nachteile überwiegen, oft begrenzt. Trotz umfangreicher Studien gibt es kaum empirische Daten, die die bestehenden Theorien testen. Wir testen und entwickeln bestehende Hypothesen zur Evolution der geschlechtlichen Fortpflanzung weiter. Dazu nutzen wir sich fakultativ fortpflanzende Organismen wie das Rädertier Brachionus calyciflorus und die Grünalge Chlamydomonas reinhardtii.

Aquatic Viruses

Viren, die Bakterien, Algen oder Protisten in aquatischen Systemen infizieren, gelten aufgrund ihrer Häufigkeit und Vielfalt innerhalb aquatischer Systeme als Schlüsselakteure bei der Strukturierung mikrobieller Gemeinschaften und biogeochemischer Kreisläufe. Ihre hohen Vermehrungsraten und kurzen Generationszeiten machen sie äußerst erfolgreich, oft mit direkten und erheblichen Auswirkungen auf ihre Wirte und damit auf ihre biologischen und abiotischen Umgebungen. Über die Rolle von Viren in Seensystemen ist jedoch sehr wenig bekannt. Um die Ökologie und Evolution von Viren in aquatischen Systemen besser zu verstehen, untersuchen wir Viren, die Algenzellen, Protisten (Flagellaten) oder Bakterien infizieren, indem wir Laborexperimente mit Hochdurchsatzmethoden kombinieren. Damit wollen wir Merkmale identifizieren, die die Interaktion von Viren und Wirten steuern (z.B. Resistenzen der Wirtszellen), und aufzeigen, wie sich diese Merkmale im Laufe der Zeit entwickeln, zum Beispiel im Verlauf eines Experiments oder einer Saison eines Sees.

Symbiosis

Die Evolution von Symbiosen ist eine entscheidende Veränderung in der Organisation des Lebens. Eine große Schwierigkeit bei dieser Veränderung besteht darin, dass zwei autonome Arten ihre Individualität verlieren, sich als Einheit fortpflanzen und eine neue Einheit der Selektion bilden müssen. Wir wissen immer noch wenig über die evolutionären Prozesse, die zu symbiotischen Beziehung führen, und über die ökologischen Bedingungen, die diese begünstigen. Es ist möglich, dass zu Beginn der symbiotischen Interaktion beide Partner einen unmittelbaren Nutzen erfahren (Kooperation). Es ist aber wahrscheinlicher, dass zumindest anfangs ein Partner den anderen ausbeutet. Wir nutzen experimentelle Evolution mit Ciliaten und Algen, um Evolutionswege aufzudecken, die unter verschiedenen ökologischen Bedingungen zu einer fakultativen oder obligatorischen Symbiose führen. Unser Ziel ist es, zu untersuchen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Symbiose aus einer unmittelbaren Kooperation oder einer anfänglichen Ausbeutung evolviert. Wir untersuchen darüber hinaus , welche ökologischen Bedingungen entscheidend sind, und die evolutionären Schritte (phänotypische und genomische Veränderungen), die zu Symbiosen führen, bei der beide Partner in vollständiger Abhängigkeit voneinander leben.

Anthropogene Stressoren

In den letzten Jahrzenhnten hat die Häufigkeit und Vielfalt von anthropogenen Stressoren stark zugenommen. Diese Stressoren wirken entweder direkt oder indirekt auf die in Seen lebenden Organismen. Direkte Stressoren sind Gewässerkontaminationen, z.B. Eintrag von Düngemitteln über die Landwirtschaft oder Medikamentenreste, aber auch Licht- und Lärmverschmutzung. Gerade Lichtverschmutzung wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, da sie einen jährlichen Anstieg zu verzeichnen hat und sich insbesondere die Umstellung auf LEDs mit einem hohen Blaulichtanteil auf die innere Uhr von Organismen auswirkt. Indirekte Effekte auf Seen ergeben sich aus der Eutrophierung von Gewässern zusammen mit dem Temperaturanstieg durch klimaverändernde Gase, was häufig zu einer Massenentwicklung von Cyanobakterien führt. Diese Cyanobakterien sind bekannt dafür, viele unterschiedliche Toxine zu produzieren, die auch für den Menschen gefährlich werden. Ein aquatischer Modellorganismus für die Untersuchung von anthropogenen Stressoren sind Daphnien, da ihre Ökologie sehr gut untersucht ist und auch genetische Informationen vorhanden sind. Darüber hinaus sind Daphnien ein Schlusssteinorganismus im Nahrungsnetz eines Sees. Wenn also Daphnien durch einen Stressor beeinflusst werden, wirkt sich dies auf das gesamte Nahrungsnetz aus. Wir untersuchen die Auswirkung von einzelnen und kombinierten anthropogenen Stressoren, insbesondere Toxine und Lichtverschmutzung, auf die Physiologie, Genetik und Ökologie von Daphnien. Dafür nutzen wir sowohl klassische Laborexperimente als auch moderne genetische Verfahren.